Der Beatenberger Bär – Geschichte aus der Jungfrauzeitung
Berichte aus der Jungfrauzeitung
Ein ausgewachsener Kragenbär streifte vor ungefähr 50 Jahren in der Gegend um Ruchenbühl umher, nachdem er aus einem privaten Tierpark in Unterseen entkommen konnte. Diese Zeitung hat die Geschichte wieder ausgegraben, nachdem sie zuvor nur noch fragmentarisch in Erinnerungen und Dokumenten vorhanden war.
Der Beatenberger Bär – Teil 1: Wie es zu dieser Geschichte kam 4. JANUAR 2015
Tipp eines Amphibien-Liebhabers
Doch bevor diese Geschichte in den nächsten Teilen möglichst umfassend rekonstruiert werden soll, geht es zuerst um die Frage, wie wir auf die Geschichte gestossen sind. Darauf aufmerksam machte uns Daniel Hofer, der uns per Mail kontaktierte und fragte, ob jemand aus der Redaktion etwas zu einem in Unterseen entflohenen Bären wisse. Daniel Hofer lebt mittlerweile in der Hauptstadt und arbeitet dort bei der Finanzdirektion Bern, ist aber auf dem Bödeli aufgewachsen. Der jüngere Bruder von Musiker Polo Hofer hat ein privates Zentrum für Amphibienforschung und setzt sich für Teiche in der Stadt Bern ein. Sein Hauptinteresse gilt einer besonderen Spezies: Hofer ist ein profunder Kenner der Blindwühlen.
Auf die Geschichte mit dem frei lebenden Bären kam Hofer, als er vor rund zwei Monaten am internationalen Bärensymposium am Naturhistorischen Museum in Bern teilgenommen hatte. «Ich habe mit etlichen Bärenspezialisten und Forschern gesprochen und mich der alten Bärengeschichte am Beatenberg erinnert», sagt Hofer. Die Bärenexperten seien sehr interessiert gewesen an den Details zu dieser Geschichte. Deren genaue Umstände kannte Hofer jedoch auch nicht.
«Deshalb habe ich angefangen nachzufragen», so Hofer. Er meldete sich daraufhin unter anderem bei Beatenbergs Gemeindepräsident Christian Grossniklaus. Gemäss den Nachforschungen von Grossniklaus musste sich die Geschichte um das Jahr 1965 zugetragen haben. Viel mehr wusste auch Grossniklaus nicht, er nannte ihm aber den Namen einer Person, die damals in der Region Ruchenbühl zwischen Beatenberg und Unterseen gewohnt haben musste.
Erfahren Sie im nächsten Teil, an was sich der Anwohner im Weiler Ruchenbühl erinnern kann und welche weiteren Spuren es zu verfolgen gilt.
Teil 2: Wie sich die Anwohner erinnern vom 17. JANUAR 2015
Der Bär in den Bäumen
«Der Bär kam jeweils bis in die Rüti ob Unterseen, Hohlen und Ruchenbühl. Er ist in die Äpfel- und Birnbäume gestiegen und hat sich in deren Kronen gesetzt», erzählt Stettler. Kragenbären sind gute Kletterer, und so holte er sich seine Nahrung in den Obstbäumen. Ob Stettler selbst den Bären auf freiem Fuss gesehen habe? «Ja, einmal, vor allem haben wir aber die Schäden an den Bäumen gesehen.» Auch in den Gärten der Anwohner des Weilers habe er sich bedient, wie sich Stettler erinnert. «Einmal, als gerade die Kirschen reif waren, haben wir ihn in einem solchen Baum gesehen.» Wann sich die Geschichte genau zugetragen hat, weiss Ernst Stettler nicht mehr. Er verweist dabei auf seine Schwägerin Erika Stettler, die damals wie auch noch heute im Weiler Ruchenbühl wohnt. Sie könne sich vielleicht an mehr erinnern als er, meint Stettler.
«Eines Morgens kam ich die Treppe runter und wollte in den Garten, da hat es ganz in der Nähe im Gehölz geknackt», erinnert sie sich. Daraufhin sei sie schleunigst wieder durch die Türe zurück in die Wohnung. Dies war ihre erste Begegnung mit dem Bären, den sie bis zu seinem Abschuss noch einige Male sehen sollte. Nicht nur Äpfel und Birnen, auch Himbeeren habe er gerne gefressen. «Meine Himbeeren im Garten hat der Kragenbär in diesem Sommer allesamt genommen», sagt sie mit einem Schmunzeln. In welchem Jahr es war, weiss sie indes auch nicht mehr: «Ich weiss aber noch, dass es in dem Jahr war, als in der Peter-Ober-Allee in Interlaken bei einem Gewitter eine Person ums Leben kam.»
Erfahren Sie im nächsten Teil, wie es dem Kragenbären gelang, aus seinem Gehege in der Manorfarm zu flüchten.
Teil 3: Wie er aus dem Gehege entkam vom 21. JANUAR 2015
Urs Ritschard erinnert sich an eine weitere Anekdote:«Der Kleinzoo-Halter Roland Fehr fand auch noch auf andere Weise die Aufmerksamkeit des Publikums. So wurde er einmal auf dem Bahnhofplatz Interlaken West gesichtet, wie er mit dem Löwen an der Leine einher marschierte.» Das Ehepaar Fehr verliess die Manor Farm 1973 und zog in den Tessin nach Magliaso, wo sie ein geeignetes Gelände für einen neuen Kleinzoo fanden. Dieser befindet sich immer noch im Familienbesitz. Das Gehege in der Manor Farm wurde darauf unter Beratung des damaligen Bärengraben- und Dählhölzli-Direktors Dr. Sägesser für eine Braunbären-Familie umgestaltet.
Erfahren Sie im nächsten Teil, wie das damalige Radio DRS 1 und andere Medien über den Vorfall berichteten.
Für die Geschichte des in Unterseen entflohenen Bären benötigen wir Ihre Hilfe. Können Sie sich an Geschehnisse rund um den Kragenbären in der Manorfarm erinnern? Besitzen Sie Fotos oder Dias aus dieser Zeit, auf denen der Bär oder das Gehege im Neuhaus zu sehen ist? Oder kennen Sie jemanden, der etwas darüber wissen könnte? Dann melden Sie sich telefonisch unter 033 826 01 01 oder per Mail an redaktion@jungfrauzeitung.ch.
Der Beatenberger Bär – Teil 4: Wie die Medien berichteten
O-Töne vom Ruchenbühl
Damals machte sich Roland Jeanneret für den Bericht im Radio DRS 1 auf den Weg ins Ruchenbühl. Jeanneret wurde neben seiner journalistischen Arbeit schweizweit auch bekannt als «Stimme der Glückskette» im Radio. Er war es, der jeweils den Kontostand und aktuelle Aktivitäten der Glückskette bei Katastrophenfällen verkündete. Jeanneret war auch Dozent am Medienausbildungszentrum (MAZ) in Luzern.
In seinem Bericht zum entkommenen Bären interviewte er die Eltern von Erika Stettler und auch den Zoobesitzer Roland Fehr. Dieser erzählte dem Berichterstatter, wie die Bären dank des Steinschlags ausbüchsen konnten. «Mithilfe von Honig konnte der eine Bär gleich nach dem Entkommen wieder eingefangen werden», so Fehr zu Jeanneret. «Einen Bären mussten wir ziehen lassen, wir konnten ja nicht beide aufs Mal zurücktransportieren», erklärte der Zoobesitzer, weshalb der andere Bär entkam. Daraufhin stellte man dem Bären mehrere Fallen mit Honig, zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Radiosendung war der Bär aber noch immer auf freiem Fuss.
Der Vater und die Mutter von Erika Stettler konnten Jeanneret von ihren Begegnungen mit dem Bären beim Weiler Ruchenbühl berichten. «Ich bin nach hinten in den Garten gegangen, um Salat zu holen, da habe ich gesehen, dass viele verschiedene Gemüse angeknabbert gewesen waren», erzählt die Mutter. Der Vater hatte eines Nachts ein Knacken in den Kirschbäumen gehört. «Das ist ziemlich sicher der Bär», sagte er damals zu seiner Frau. Als er nachgesehen habe, hätte der Bär stark gebrummelt. «Daraufhin telefonierte ich dem Zoobesitzer Fehr, damit dieser ihn einfangen konnte», so Stettler. Die nachfolgende Einfangaktion endete aber mit einer weiteren Flucht des Bären. «Wer Lust hat, kann sich also nach wie vor auf Bärenjagd machen», beendete Jeanneret seine Berichterstattung.

Bericht im Tagesanzeiger
Urs Ritschard, ehemaliger Verwaltungsrat der Manor Farm, bewahrte einen Artikel des Tagesanzeigers auf, der am 13. August 1970 erschienen ist. «Man weiss mit Bestimmtheit, dass es sich um eine Bärin aus Fleisch und Blut und nicht um ein Hirngespinst handelt, das in hochsommerlicher Hitze und aus vertrockneten Hirnzellen als riesenhaftes Ungetüm ausgeschlüpft ist», steht unter anderem darin. Des Weiteren wurde sogar gemunkelt, dass «Leute aus der Gegend» behaupten würden, dass der Zoobesitzer «die Bärin nur zu Werbezwecken» freiliess.
Bericht im Tagesanzeiger
Urs Ritschard, ehemaliger Verwaltungsrat der Manor Farm, bewahrte einen Artikel des Tagesanzeigers auf, der am 13. August 1970 erschienen ist. «Man weiss mit Bestimmtheit, dass es sich um eine Bärin aus Fleisch und Blut und nicht um ein Hirngespinst handelt, das in hochsommerlicher Hitze und aus vertrockneten Hirnzellen als riesenhaftes Ungetüm ausgeschlüpft ist», steht unter anderem darin. Des Weiteren wurde sogar gemunkelt, dass «Leute aus der Gegend» behaupten würden, dass der Zoobesitzer «die Bärin nur zu Werbezwecken» freiliess.
Der Beatenberger Bär – Teil 5: Wie der Bär erlegt wurde
Über das tödliche Ende des Kragenbären zu berichten, bedeutet zuallererst auch, von den vielen missglückten Aktionen zu erzählen, die schliesslich zum Abschuss führten. Wie der Zoobesitzer Roland Fehr im Radiobericht von DRS 1 damals erklärte, habe man zuerst versucht, den Bären mit Honigfallen einzufangen. Doch der Bär machte sich indes lieber über die Kirschbäume und Gärten im Weiler Ruchenbühl her. Als das Tier dort eines Tages auf einem Baum gesichtet wurde, rief man den Besitzer Fehr an. Dieser kam darauf mit Betäubungsmunition nach Ruchenbühl.
Viele Zwischenfälle
Wie Ernst Stettler, der damals im Weiler wohnte, berichtet, «stellte man zudem eine Leiter an den Baum, um den Bären nach der Betäubung runterzuholen». Der Schuss verfehlte das Tier – und scheuchte es auf. Daraufhin kletterte es über die Leiter vom Baum und suchte das Weite. Wie sich Stettler weiter erinnert, sei der Besitzer derjenige gewesen, der aus Angst vor dem Bären als Erster weit weggesprungen sei. Ernst Jaun aus Unterseen, der im Besitz der Radioaufnahme von DRS 1 ist, erzählt, wie die Leute teilweise nur mit Halbschuhen ausgerüstet ins Ruchenbühl gekommen und dementsprechend bei der Einfangaktion an den steilen Grashängen immer wieder ausgerutscht seien.
«Die Strasse nach Ruchenbühl gab es damals noch nicht», so Jaun. Deshalb wollte man ein anderes Mal eine grosse Falle mit der Materialbahn, die dazumals von Sundlauenen ins Ruchenbühl führte, hinauf in den Weiler bringen. Dieses Mal musste der Bär jedoch gar nicht erst flüchten. Während des Transports der Falle wurde dieser Versuch im Keim erstickt. «Bei einem Masten der Seilbahn hängte die Falle an und fiel in Richtung Schlucht runter», weiss Jaun zu berichten. So ging der Sommer 1970 vorüber, ohne dass der Bär eingefangen werden konnte. «Man machte sich Sorgen, dass der Bär vielleicht doch auch für unsere Kinder gefährlich werden könnte, wenn die Nahrung für ihn knapp wird», so Erika Stettler, die bis heute in Ruchenbühl wohnt.
Das fatale Ende
Walter Zurbuchen aus Habkern war damals gerade mal zwei Jahre im Besitz seines Jagdscheines, als er sich zusammen mit den Wildhütern der Region auf die Suche nach dem Bären machte. «Es war die Vorgabe des Jagdinspektorats, die Wildhüter für die Bärenjagd aufzubieten», so Zurbuchen. Dazu gehörten Hans Fuchs aus Brienz, Hanspeter Feuz aus Lauterbrunnen, Christian Kaufmann aus Iseltwald und Fritz Beglinger von Sigriswil. Die Spuren führten im September mittlerweile weg vom Ruchenbühl in Richtung Habkern. In der Nähe der Wendeplatte der Bergstrasse hinauf nach Beatenberg suchte man schliesslich mit Jagdhunden nach dem Tier.

An dem Tag als Zurbuchen mit dabei war, habe man den Bären allerdings nicht angetroffen und das Wetter sei zunehmend schlechter geworden. «Deshalb gingen wir kurz ins Hotel Lötschberg in Interlaken», aus der Bärenjagd wurde so ein geselliger Nachmittag im Restaurant. Ungefähr vier Wochen später, Mitte November, machten sich die Wildhüter Kaufmann, Feuz, Fuchs, Zurbuchen und Beglinger erneut auf. Da sie die Tatzenabdrücke des Bären im Schnee gesichtet hatten, setzten sie wiederum ein Jagdhund auf die Spuren des Bären an.
Die Wildhüter bezogen verschiedene Posten in der Region Rütti-Stollen und legten sich auf die Lauer, derweil hatte der Jagdhund den Bären schon aufgespürt und jagte ihn vor sich her. Plötzlich hörte Feuz, der sich im Kienberg Richtung Rütti-Stollen auf die Lauer gelegt hatte, etwas weiter oben Schüsse. Als Feuz zu Kaufmann aufgeschlossen hatte, sah er, wie der Bär in seinen letzten Atemzügen lag. So war es schliesslich Christian Kaufmann aus Iseltwald, der den Bären vor dem Einbruch des Winters 1970 erlegte.
Die beiden nahmen das Tier anschliessend an Ort und Stelle aus. «Sie brachten die Leber in ein Restaurant in Sigriswil. Diese “Delikatesse” soll aber nicht gemundet haben, sodass praktisch niemand davon essen wollte», erzählt Zurbuchen. Was mit dem Fell und dem restlichen Fleisch des Tieres passierte, weiss niemand der befragten Personen.
Das Ende einer fünfteiligen Geschichte

Mit dieser Episode endet die Berichterstattung um den 1970 in der Manorfarm entflohenen Krägenbären. Diese Zeitung bedankt sich herzlich bei den vielen Personen, die mit ihren Hinweisen und Auskünften diese Geschichte erst möglich gemacht haben.